Frieden
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"Es gibt keinen Weg zum Frieden. Frieden ist der Weg" - diese Devise von Mahatma Gandhi weist auf ein pragmatisches Friedensverständnis hin. Konkreter wird das folgende Zitat: "Kümmere dich um die Mittel, und die Zwecke werden sich um sich selbst kümmern." Wichtig für Gandhi sind also die Mittel - die Gewaltlosigkeit im Handeln -, nicht die Beschäftigung mit den Zwecken - die Suche nach einem (utopischen) Frieden, den es in ferner Zukunft zu verwirklichen gelte.

Auch das in diesem Grundkurs mehrfach verwendete Schaubild macht Gewalt zum Kriterium zur Unterteilung des Kontinuums zwischen Krieg und Frieden. Frieden beginnt, wo Gewalt aufhört und Kooperation beginnt. Verschiedene Stufen der Kooperation und Integration markieren den Weg zum "maximalen" Frieden, der sich nicht im Sinne eines festen Aggregatzustandes definieren lässt, sondern eine regulative Idee oder (positive) Utopie bleibt.

Umstritten ist, wann der Frieden beginnt. Oder anders formuliert: Was heißt es, wenn man (wie oben geschehen) sagt, dass "Gewalt aufhört"? Mit diesen Fragen rund um die Begriffe der direkten, strukturellen und kulturellen Gewalt befasst sich der Abschnitt Gewalt im Rahmen dieses Grundkurses 2. Was die nähere Bestimmung des Friedensbegriffs betrifft, so hat sich eine Unterscheidung zwischen "positivem" und "negativem" Frieden eingebürgert. Was darunter zu verstehen ist, diskutiert der folgende Text von Ernst-Otto Czempiel:

"Der Friede teilt das Schicksal solcher gesellschaftlicher Probleme, die nicht verdrängt oder vergessen, sondern durch die allgemeine Aufmerksamkeit verstellt werden. Von ihm wird ständig gesprochen: in der Politik, in den Medien, in der Öffentlichkeit, in der Friedensbewegung. Er wird beschworen und reklamiert. So entsteht der Eindruck, als sei er ein bekannter, durchaus herstellbarer Zustand. Ein Abrüstungsvertrag, ein politisches Gespräch bringen ihn näher, Aufrüstung und Klimaverschlechterung rücken ihn in die Ferne. (...)

Friede besteht in einem internationalen System dann, wenn die in ihm ablaufenden Konflikte kontinuierlich ohne die Anwendung organisierter militärischer Gewalt gelöst oder zumindest behandelt werden.

In gewisser Weise steht diese Bestimmung dem „negativen“ Friedensbegriff nahe, der den Frieden als Nicht-Krieg definiert. Sie gibt sich auch damit zufrieden, dass kein Krieg herrscht. Damit ist allerdings nicht nur die Absenz des Krieges gemeint, sondern sein Ersatz durch andere, nicht-gewaltsame Austragsmodi. Aus dieser logischen Forderung ergibt sich, dass der „negative“ Friedensbegriff, hätte er sich selbst je ernst genommen, viele Konsequenzen verlangt, die eine rein nominalistisch verfahrende Diskussion erst dem „positiven“ Frieden zugerechnet hat. Den Krieg auf Dauer zu vermeiden, heißt, ihn auf Dauer durch nicht-kriegerische Konfliktlösungsformen zu ersetzen. Ist dies gelungen, herrscht Friede.

Diese Bestimmung diskriminiert nicht jede Form der Gewalt, sondern nur die organisierte militärische Beschädigung der physischen Existenz des Menschen. Diese Bestimmung hatte sich nie - und hat sich auch jetzt nicht - auf das „Ziel der gewaltfreien Weltgesellschaft oder, theologisch gesprochen, der erlösten Menschen“ gerichtet (...). Sie bestimmt nur etwas deutlicher, was unter dem allgemein anerkannten Bestandteil des Friedens, nämlich dem Nicht-Krieg, eigentlich zu verstehen ist. Was heißt Nicht-Krieg anderes als die permanente Absenz organisierter militärischer Gewaltanwendung? Sie ist nicht identisch mit der zeitweisen Vermeidung des Krieges, sondern schließt seine Vorbereitung, die Bereitschaft zum Krieg aus. Das hatte auch schon Hobbes gemeint (...), der als Frieden eine Zeit bezeichnete, in der es weder Krieg noch die Bereitschaft dazu gibt. Die politischen Folgen dieser konsequenten Bestimmung des Nicht-Kriegs sind daher beträchtlich. (...)

Friede bezeichnet also das Prozessmuster eines internationalen Systems, das charakterisiert ist durch den nicht-gewaltsamen Austrag der in ihm ablaufenden Konflikte. Der Begriff könnte sich auch schon mit der Tendenz zufrieden geben: Friede besteht, wenn die Konflikte in einem internationalen System tendenziell frei von militärischer Gewalt geregelt werden. (...)

Was im „negativen“ und „positiven“ Friedensbegriff als Alternativen gegenübergestellt wurde, erweist sich bei näherem Hinsehen als Stufenfolge. Sie beginnt, als conditio sine qua non, mit der Beseitigung organisierter militärischer Gewaltanwendung. Sie setzt sich fort als ein Prozess weiter abnehmender Gewalt und weiter zunehmender Verteilungsgerechtigkeit."

[aus: Ernst-Otto Czempiel: Friedensstrategien, Systemwandel durch Internationale Organisationen, Demokratisierung und Wirtschaft, Paderborn 1986, S. 11, 35-37, 51]

Ernst-Otto Czempiel erachtet es ebenfalls als sinnvoll, nicht von Krieg und Frieden als bestimmten Zuständen zu sprechen, sondern von einem Kontinuum, das sich - wie die folgende grafische Veranschaulichung zeigt - etwas vom obigen Kontinuum unterschiedet:

Den Ausgangspunkt bildet der sogenannte "negative Friedensbegriff": Frieden ist die Abwesenheit von Krieg, und Krieg lässt sich relativ exakt als "organisierte militärische Gewaltanwendung" definieren. Entscheidend ist dann aber die Unterscheidung mehrerer (aufeinanderfolgender) Phasen und Grade des Friedens, wobei bereits Aggregatzustände wie der Kalte Krieg zum Bereich des Friedens zählen, wenn auch zur Friedensphase mit dem geringsten Grad an Frieden.

Ein weiterer Unterschied zum anderen Kontinuum besteht darin, dass mit der "zunehmenden Gerechtigkeit" neben dem Maß an Gewalt(losigkeit) ein weiteres Kriterium hinzukommt, um verschiedene Phasen des Friedens unterscheiden zu können. Das verweist auf den engen Zusammenhang von Frieden und Gerechtigkeit.

Weitere Anregungen zur Beschäftigung mit dem Begriff des Friedens:

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Friedensstrategien: Was befördert den Frieden? 

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Anmerkungen zur Unschärfe des Friedensbegriffs 

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Anmerkungen zur Genese des Friedensbegriffs 

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Aufgabenfelder der Friedens- und Konfliktforschung 

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Frieden als Zivilisierungsprojekt: Das zivilisatorische Hexagon von Senghaas

Es gab nie einen guten Krieg oder einen schlechten Frieden – Benjamin Franklin

[Autor: Ragnar Müller]

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