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Was sind Konflikte?
Konflikte sind so
alt wie die Menschheit, sie sind ein allgemeines Phänomen, das auf allen Ebenen
des Zusammenlebens anzutreffen ist. Nicht das Vorhandensein von Konflikten ist
als problematisch oder gar friedensgefährdend einzustufen, sondern
gewaltfördernde Austragungsformen, die Unrecht weiterschreiben, einzelne
Parteien übervorteilen, die auf Macht und einseitige Interessendurchsetzung
ausgerichtet sind und davon ausgehen, dass nur eine Seite über die „Wahrheit“
und „das Recht“ verfügt. Solche Vorstellungen münden leicht in Denk- und
Handlungsweisen, die an Nullsummenspielen orientiert sind: Der Verlust des einen
ist der Gewinn des andern. Der Gewinner, so die weitere Assoziationskette, ist
der Stärkere, und dieser hat auch das Recht auf seiner Seite.
Im Alltag werden Konflikte häufig gleichgesetzt mit Streit, mit
Interessensgegensätzen, mit Macht oder Gewaltanwendung. Die Friedensforscherin
Ulrike C. Wasmuth weist darauf hin, dass es wichtig ist, den Konflikt
unvoreingenommen als sozialen Tatbestand zu betrachten und ihn nicht mit
Austragungsformen zu verwechseln; ihn nicht durch Bewertungen einzugrenzen und
ihn nicht mit seiner Ursächlichkeit zu vermischen. Sie definiert Konflikt
deshalb als einen sozialen „Tatbestand, bei dem mindestens zwei Parteien
(Einzelpersonen, Gruppen, Staaten) beteiligt sind, die (a) unterschiedliche, vom
Ausgangspunkt her unvereinbare Ziele verfolgen oder das gleiche Ziel anstreben,
das aber nur eine Partei erreichen kann, und/oder (b) unterschiedliche, vom
Ausgangspunkt her unvereinbare Mittel zur Erreichung eines bestimmten Zieles
anwenden wollen.
Ein Hilfsmittel, um Konflikte zu begreifen, sind Konfliktanalysen. Eine
solche Konfliktanalyse versucht nicht nur Ursachen und Hintergründe zu erfassen,
sondern beinhaltet bereits erste Anhaltspunkte für Lösungsansätze, indem auch
nach Gemeinsamkeiten gefragt und die Art der bisherigen Konfliktbearbeitung
untersucht wird (siehe Abschnitt
Konfliktanalyse).
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Konflikte durchlaufen
spezifische Konfliktphasen. In einer Vorphase werden latente oder
manifeste Konflikte wahrgenommen, aber (noch) nicht negativ bewertet. In der
Eskalationsphase wirkt eine spezifische Dynamik, die das Konfliktgeschehen
zuspitzt. In der “Klärungsphase“ geht es darum, das weitere (Zusammen-)leben neu
zu definieren und zu gestalten. Diese Phasen werden oft auch als Konfliktbogen
bezeichnet. In den verschiedenen Konfliktphasen sind jeweils spezifische
Anforderungen und Kompetenzen des Umgangs, der Deeskalation bzw. der
Versöhnungsarbeit notwendig.
Die Dynamik des
Konflikts verändert in der Regel auch das Verhalten der Konfliktparteien.
Kommunikation wird eingeschränkt, wahrgenommen wird eher das Trennende als das
Verbindende, Misstrauen nimmt zu und die Lösung wird häufig nicht als
gemeinsames Problem gesehen. Morton Deutsch beschreibt diese Veränderungen:
Was ist typisch für Konflikte?
Kommunikation
Kommunikation ist nicht offen und aufrichtig.
Information ist unzureichend oder bewusst irreführend.
Geheimniskrämerei und Unaufrichtigkeit nehmen zu.
Drohungen und Druck treten an die Stelle von offener Diskussion und
Überzeugung.
Wahrnehmung
Unterschiede und Differenzen in Interessen und Meinungen und
Wertüberzeugungen treten hervor.
Das Trennende wird deutlicher gesehen als das Verbindende.
Versöhnliche Gesten des anderen werden als Täuschungsversuche gedeutet,
seine Absichten als feindselig und bösartig beurteilt, er selbst und sein
Verhalten einseitig und verzerrt wahrgenommen.
Einstellung
Vertrauen nimmt ab und Misstrauen nimmt zu.
Verdeckte und offene Feindseligkeiten entwickeln sich.
Die Bereitschaft nimmt ab, dem anderen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
Die Bereitschaft nimmt zu, den anderen auszunutzen, bloßzustellen,
herabzusetzen.
Aufgabenbezug
Die
Aufgabe wird nicht mehr als gemeinsame Anforderung wahrgenommen, die am
zweckmäßigsten durch Arbeitsteilung bewältigt wird, in der jeder nach seinen
Kräften und Fähigkeiten zum gemeinsamen Ziel beiträgt.
Jeder versucht, alles alleine zu machen: Er braucht sich so auf den anderen
nicht zu verlassen, ist von ihm nicht abhängig und entgeht damit der Gefahr,
ausgenutzt und ausgebeutet zu werden.
[vgl. Morton Deutsch: Konfliktregelung. München 1976]
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Konflikte werden
häufig als Kampfsituationen wahrgenommen, die gewonnen werden müssen. Sie
entfalten oft eine innere Konfliktdynamik, die eine friedliche, konstruktive und
gewaltfreie Regelung erschwert oder ausschließt. Untersuchungen über das
Verhalten von Menschen in Konfliktsituationen haben gezeigt, dass die Mehrheit
dazu neigt, den eigenen Vorteil durch immer intensiveren Einsatz oder striktes
Beharren auf der eigenen Position zu behaupten, selbst dort, wo sich Misserfolge
abzuzeichnen beginnen. Dieses Verhaltensmuster wird begleitet durch eine
fortschreitende Einschränkung der Wahrnehmungs- und Entscheidungsfähigkeit.
„Konflikte beeinträchtigen unsere Wahrnehmungsfähigkeit und unser Denk- und
Vorstellungsleben so sehr“, schreibt der Leiter von Konfliktseminaren, Friedrich
Glasl, „dass wir im Lauf der Ereignisse die Dinge in uns und um uns herum nicht
mehr richtig sehen. Es ist so, als würde sich unser Auge immer mehr trüben;
unsere Sicht auf uns und die gegnerischen Menschen im Konflikt, auf die Probleme
und Geschehnisse wird geschmälert, verzerrt und völlig einseitig. Unser Denk-
und Vorstellungsleben folgt Zwängen, derer wir uns nicht hinreichend bewusst
sind.“
Das eigentliche Problem von Konflikten liegt in der permanenten Gefahr ihrer
Eskalation, indem bei ihrer Austragung immer mehr auf Macht- und
Gewaltstrategien gesetzt wird. Der Konflikt wird so immer schwerer zu steuern,
bis er schließlich außer Kontrolle gerät, die Schwelle der Gewalt überschreitet
und damit Zerstörung und Leiden verursacht. Ein weiteres Zusammenleben wird so
erschwert oder auf lange Zeit unmöglich gemacht.
Ergänzende Texte zum Thema "Was sind Konflikte?":
[Autor: Günther Gugel,
Institut für
Friedenspädagogik Tübingen; Redaktion: Ragnar Müller]
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