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| Ursachen für Parteienverdrossenheit Während die folgenden beiden Texte die eng miteinander verbundenen soziologischen Phänomene Modernisierung und Individualisierung als Ursachen für Parteienverdrossenheit anführen, listet ein weiterer Text (am Beispiel Deutschlands) ein ganzes Ursachenbündel für die Kritik an den Parteien auf.
Zu fragen ist, worin Parteienverdrossenheit gründet: Hier sind ganze Ursachenbündel zu nennen: Neue Partizipationsformen haben sich im Zeitalter des Postmaterialismus eingebürgert, Individualisierungsschübe halten an, Politikinhalte sind immer komplizierter und komplexer geworden, so dass Parteien in sich geschlossene Konzeptionen dem Wähler einfach nicht zu offerieren vermögen. Vor allem aber haben Parteien selbst einige der Gründe zu verantworten, die zum Verdruss über sie geführt haben. Dazu gehören die bekannten und berüchtigten Parteifinanzierungs-, Diäten- und Korruptionsaffären. Viel schwerer wiegt aber die Tatsache, dass Parteien in der Hochzeit ihrer Blüte - und zuweilen auch noch heute - den Eindruck erweckt haben, als seien sie allzuständig, als verfügten sie über ein Monopol in der politischen Willensbildung. Parteien haben ihre Kompetenzen überdehnt und sind in Bereiche eingedrungen, in denen sie nichts zu suchen haben. Zu nennen sind hier die berühmt-berüchtigten Rundfunk- und Fernsehräte, in denen nicht nur nach parteipolitischen Gesichtspunkten abgestimmt wird, sondern in denen es fraktionsmäßige "Freundeskreise" gibt, die sich vor den offiziellen Sitzungen treffen. Ferner haben die Parteien in öffentlichen Verwaltungen Patronage überdehnt: Warum bei der Ernennung von Theater- und Opernintendanten Parteizugehörigkeit eine Rolle spielt, ist in der Öffentlichkeit ebensowenig verständlich zu machen wie die Tatsache, dass in manchen Landstrichen der Bundesrepublik eine Beförderung vom Studienrat zum Oberstudienrat ohne ein bestimmtes Parteibuch nicht gelingen will. Auf der lokalen Ebene schienen und scheinen Parteien allgegenwärtig zu sein: Sie mischen in den Vereinen mit, beim Sport- und Gesangsverein, beim Schützenverein und bei der Freiwilligen Feuerwehr. Diese Allgegenwart verstärkt den Eindruck, Parteien seien allzuständig. Genau hier liegt aber das Problem, das in den letzten Jahren auf die Parteien wie ein Bumerang zurückgekommen ist. Sie haben nämlich aufgrund ihres Allzuständigkeitsanspruches Erwartungen geweckt, die sie in der politischen und gesellschaftlichen Realität der Bundesrepublik nicht zu erfüllen vermochten und vermögen. Wegen ihres Monopolanspruchs werden sie heute für vieles verantwortlich gemacht, für das sie überhaupt nicht zuständig sind. Konkret: Einzelne Parteien können für die Globalisierung der Kapitalmärkte, die Internationalisierung der Arbeitsmärkte, die Defizite in den öffentlichen Haushalten oder die Notwendigkeit, den Sozialstaat umzubauen, nicht verantwortlich gemacht werden. Zur Parteienverdrossenheit trägt auch bei, dass unsere Großparteien sich damit schwer tun, mit ihrer eigenen Fragmentierung und Segmentierung, mit ihrer eigenen Vielfalt und Widersprüchlichkeit umzugehen. Dies trifft aktuell die SPD stärker als die CDU, ist bei dieser aber strukturell auch angelegt. Entgegen dem Image, das SPD und CDU in der Öffentlichkeit, aber auch bei einigen Fachwissenschaftlern haben, sind diese keine hierarchischen oder oligarchischen Mammut-Organisationen, sie stellen vielmehr das dar, was wir als "lose verkoppelte Fragmente", als "lose verkoppelte Anarchie" bezeichnet haben. In der Organisation dezentralisiert und fragmentiert, mit einem großen Maß an Autonomie für die einzelnen Gebietsverbände, vom Ortsverband bis zum Bundesverband, für die verschiedenen innerparteilichen Interessengruppen, die Arbeitsgemeinschaften der SPD und die Vereinigungen der CDU, und für die verschiedenen Fraktionen, vom Gemeinderat bis zum Bundestag; in der sozialen Zusammensetzung ihrer Funktionäre, Mitglieder und Wähler bunt und vielfältig, im Spagat zwischen höchst gegensätzlichen gesellschaftlichen Gruppen; programmatisch und ideologisch so farbenfreudig und auch widersprüchlich wie in ihrer Sozialstruktur; zusammengehalten durch den Willen zur Macht, durch Patronage, durch aus der Geschichte überkommene Symbole, Rituale und Programmpunkte und - falls vorhanden - durch charismatische und/oder organisationskompetente Führer. Die Parteien bieten nach außen also kein geschlossenes, harmonisches Bild - was wiederum zur Parteienverdrossenheit beiträgt. Ferner sind jene historischen Vorbelastungen, die das Fungieren der Parteien im parlamentarischen Regierungssystem in der Vergangenheit erschwert haben, auch heute noch nicht völlig überwunden. So scheint der Antiparteienaffekt neue Urständ zu feiern, unter den Wählern wie unter einigen Sozialwissenschaftlern. Zur Parteienverdrossenheit trägt schließlich bei, dass unsere Parteien sich in einem ständigen Wandlungsprozess befinden, die Parteietiketten bleiben, die politischen Inhalte sich aber verändern. Dies führt zu Verwirrung und Verdruss. [Parteienstaat in der Krise : Überlegungen nach 50 Jahren Bundesrepublik Deutschland ; Vortrag und Diskussion einer Veranstaltung des Gesprächskreises Geschichte der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn am 19. August 1999 / Peter Lösche. [Hrsg.: Dieter Dowe]. - Bonn : Forschunginst. der Friedrich-Ebert- Stiftung, Historisches Forschungszentrum, 1999]
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